Logistik

SELECT - KI-basierte ETA-Prognosen für Logistikketten der Binnenschifffahrt

Im Rahmen einer kooperativen Zusammenarbeit der TU Berlin mit verschiedenen Reedereien und Betreibern und Koordinatoren von Binnen- und Seehafenterminals werden im SELECT-Projekt die Potenziale der Digitalisierung für die Logistikketten der Binnenschifffahrt durch den Einsatz innovativer Datentechnologien umgesetzt.

Projektinhalte

Motivation

Um die Attraktivität der Binnenschifffahrt im Güterverkehr zu steigern, bedarf es einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Logistikketten. Derzeit bestehen hohe Ineffizienzen aufgrund fehlender Möglichkeiten zur zeitlichen Synchronisation der einzelnen Prozesse, insbesondere von den Reedereien, Häfen und angrenzenden Transporten. Trotz der vor einigen Jahren erfolgten Einführung der Inland-AIS-Infrastruktur für die Verfolgung von Binnenschiffen besteht bei der Planung und Steuerung wasserseitiger Logistikketten weiterhin eine hohe Unsicherheit. Dies begründet sich durch die vielen dynamischen Einflussfaktoren, z. B. Wasserstände und Schleusenauslastungen, die auf die Transportverläufe der Binnenschiffe wirken und die bisher keine verlässlichen Prognosen zu den Ankunftszeiten an Akteursschnittstellen erlauben.

 

Ziele

Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines IT-Systems für Hafenbetreiber und Reedereien, welches automatisiert und dynamisch die Transportverläufe von Binnenschiffen und damit deren Ankunftszeiten (ETA) an Binnen- und Seehäfen prognostiziert, darauf basierend systemseitig situationsspezifische Handlungsempfehlungen für den wasserseitigen Transport und den Hafenumschlag generiert und einen digitalen Austausch dieser Informationen zwischen den Akteuren ermöglicht. Dieser digitale Entscheidungsassistent soll die Akteure zur Auswahl geeigneter Handlungen in Bezug auf die erwartete Ankunftszeit unter Berücksichtigung des gesamten logistischen Prozessverlaufs befähigen.

Das SELECT-Projekt soll zur langfristigen Verbesserung der Effizienz, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und IT-Vernetzung der Akteure der Binnenschifffahrt beitragen. Gleichzeitig wird mit dem Vorhaben eine wichtige Grundlage für die Durchführung zukünftiger datenbasierter Vorhaben geschaffen, indem Potenziale und Restriktionen der Daten der Binnenschifffahrt bewertet werden.

 

Lösungsansatz

Mithilfe von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) aus dem Bereich des Maschinellen Lernens wird ein IT-System entwickelt, welches in der Lage ist, eine verlässliche Ankunftszeit von Binnenschiffen an Binnen- und Seehäfen sowie weiteren wichtigen Bezugspunkten dynamisch und automatisiert zu ermitteln (ETA – Estimated Time of Arrival). Dazu werden Daten verschiedener Akteure, u. a. zu Transportverläufen, Wasserstraßen, Fahrzeugen und Umschlagsprozessen, im Projekt eingesetzt und in intelligente Prognosemodelle überführt. Anhand eines Abgleiches der prognostizierten Fahrzeiten mit zusätzlichen Prozess- und Umweltinformationen wird das IT-System von SELECT permanent die Fortführung des weiteren Transportes überwachen und dessen Auswirkungen auf den logistischen Gesamtprozess bewerten. Bei der Detektion von Ineffizienzen und Störungen werden den Akteuren situationsspezifische Maßnahmen zur Prozessplanung und -steuerung vorgeschlagen, z. B. eine schiffsbezogene Zuweisung geeigneter Lade- und Löschzeitpunkte sowie optimale Reisegeschwindigkeiten.

Dieser digitale Entscheidungsassistent soll insbesondere die Betreiber von See- und Binnenterminals sowie Reedereien bzw. Schiffsführer zur Auswahl optimaler Handlungen in Bezug auf die erwartete Ankunftszeit unter Berücksichtigung des weiteren logistischen Prozessverlaufs befähigen. Des Weiteren fungiert die Technologie als eine bisher fehlende digitale Schnittstelle zur Übermittlung der ETA, diesbezüglicher Maßnahmen und transportbezogener Zusatzinformationen zwischen den beteiligten Akteuren.

Ergebnisse, Termine und Veröffentlichungen

Datenbeschaffung abgeschlossen und erste Prognosemodelle entwickelt (03/2022)

Nach der zum Projektbeginn durchgeführten Anforderungs- und Prozessanalyse, in der unter Einbindung verschiedener Vertreter der Binnenschifffahrt u. a. relevante Einsatzbereiche und Gestaltungsanforderungen einer KI-basierten ETA-Prognose erhoben wurden, war die erste Hälfte der Projektlaufzeit von der Beschaffung, Aufbereitung und Analyse umfassender Datenbestände geprägt. Für den Zeitraum von 2017 bis 2019 wurden u. a. Bewegungsdaten zu historischen Schiffsverläufen in Form von Inland-AIS-Daten für zwei Korridore der Binnenschifffahrt bezogen. Hierbei handelt es sich um die Korridore Rhein-Main-Gebiet – ARA-Häfen (via Main, Rhein) und Berlin – Hamburg (via Mittellandkanal, Elbeseitenkanal, Elbe) mit den entsprechenden Zwischenhäfen, welche die Pilotrelationen des Projektes umfassen und eine Untersuchung von natürlichen und künstlichen Wasserstraßen ermöglichen (siehe Abbildung). Neben den AIS-Daten wurden mehrere öffentliche Datenquellen wie Wetterdaten, Flusspegelstände sowie Meldungen für die Binnenschifffahrt (Notices-to-Skippers, NtS) zu Infrastrukturstörungen und Eislagen für Deutschland und die Niederlande beschafft. Auch konnten Daten zu Schleusenöffnungszeiten, Geo-Daten zu Wasserstraßen und Hafenterminals sowie unternehmensspezifische Daten, insbesondere seitens der im Projekt involvierten Hafen- bzw. Terminalbetreiber, bezogen werden.

Parallel zur Datenbeschaffung wurden Aktivitäten zur Entwicklung der ML-Modelle für die ETA-Prognose aufgenommen. Dazu erfolgte zu Beginn eine Segmentierung des Gesamtprognoseproblems in Teilprobleme analog zu den Teilprozessen der mehrgliedrigen Prozesskette. Eine weitere zentrale Aktivität stellte die Identifizierung geeigneter Eingangsvariablen (Features) für die einzelnen Teilprobleme dar. Im Rahmen eines agilen Entwicklungsansatzes wurden bisher Prognosemodelle für die Teilprobleme der Prognose von Durchlaufzeiten und der darauf basierenden Estimated Time of Departure (ETD) in Seehäfen sowie der Prognose der Fahrzeit zwischen Häfen, inkl. Schleusenprozesse, Zwischenhalten zum Laden / Löschen und Fahrunterbrechungen, umgesetzt. Für letzteres wurden mehrere Ansätze zur Segmentierung der Prozesskette erprobt. Auch wurden bei der Entwicklung mehrere ML-Verfahren hinsichtlich der höchsten Ergebnisgüte getestet u. a. Künstlich Neuronale Netze, Gradient Boosting, Random Forest und Support Vector Machines. Neben der Entwicklung eines Modells für die Durchlaufzeit in Binnenhäfen werden die bestehenden Modelle derzeit inkrementell verbessert, u. a. durch die Berücksichtigung weiterer Daten bzw. Features. 

Neben der Prognoseentwicklung wurde parallel an dem darauf basierenden Entscheidungsassistenten gearbeitet. In ersten Schritt wurden dazu gemeinsam mit den Praxispartnern ETA-relevante Störungsszenarien in der Binnenschifffahrt, z. B. die Verspätung eines Schiffes am Seehafen, sowie dafür geeignete Handlungsalternativen für die beteiligten Akteure identifiziert. Diese Informationen werden aktuell in Form eines wissensbasierten Systems IT-seitig implementiert. Zur Integration der einzelnen ETA-Funktionalitäten in ein Gesamtsystem wird zudem derzeit ein Demonstrator mit einer praxistauglichen Benutzeroberfläche entwickelt.

Weitere Informationen zum SELECT-Projekt (Vorgehen, Teilergebnisse etc.) finden sich in diesem Zwischenbericht zur Prognoseentwicklung sowie in folgenden Veröffentlichungen:

 

  • Poschmann, P.; Weinke, M.; Straube, F. (2022): „Predicting Estimated Arrival Times in Logistics using Machine Learning“. In: Wang, J. (Hrsg.): Encyclopedia of Data Science and Machine Learning. Hershey, USA: IGI Global, S. 2683-2701
  • Poschmann, P.; Weinke., M.; Straube, F.; Kliewer, J.; Gerhardt, F. (2022): „Künstliche Intelligenz in der Binnenschifffahrt: Steigerung der Zuverlässigkeit von Binnenschifftransporten durch datenbasierte Ankunftszeitprognosen". In: Internationales Verkehrswesen (74) 2/2022. [Veröffentlichung im Mai 2022]
  • Poschmann, P.; Weinke, M.; Straube, F. (2021): „Predictions of Disruptions in Multi-Modal Transport Chains Using Artificial Intelligence". In: Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V. (Hrsg.): International Scientific Symposium on Logistics - Conference Volume. Bremen, S. 85-90.
  • Teßmann, G. (2021): „Machine Learning: KI-basierte Entscheidungsassistenz für Logistikketten der Binnenschifffahrt". In: Schiffahrt, Hafen, Bahn und Technik (06 / 2021), S. 100-101
  • Pressemitteilungen zum Projekt u. a. hier:

     

     

 

Vorträge zum SELECT-Projekt werden bzw. wurden auf folgenden Veranstaltungen gehalten:

  • Netzwerkveranstaltung Digitale Testfelder Wasserstraße (DTW) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV), Berlin, 28.06.2022 [ausstehend]
  • Hamburg International Conference of Logistics (HICL) der Technischen Universität Hamburg (TUHH), 23.09.2021 
  • International Scientific Symposium on Logistics (ISSL) der Bundesvereinigung Logistik (BVL), 15.06.2021 

 

__________________________________________________________

 

Projekt im März 2020 gestartet (03/2020)

Unter Leitung des Fachgebietes Logistik der TU Berlin ist am 1.3.2020 das Projekt SELECT („Smarte Entscheidungsassistenz für Logistikketten der Binnenschifffahrt durch ETA-Prognosen“) gestartet, welches im Rahmen der Initiative „Innovative Hafentechnologien“ (IHATEC) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) für 3 Jahre gefördert wird: https://www.innovativehafentechnologien.de/projekt-select-gestartet/.

Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren der deutschen Hafenwirtschaft (u. a. Binnenreedereien und Betreiber von Binnen- und Seehafenterminals) wird das SELECT-Projekt für die Logistikketten der Binnenschifffahrt bedeutende Potenziale aus dem zunehmenden Datenbestand, u. a. Inland-AIS, heben. Mithilfe von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (Machine Learning) wird in SELECT ein digitaler Entscheidungsassistent entwickelt, der die Akteure der Binnenschifffahrt zur Optimierung von Transportverläufen durch die Bereitstellung von Ankunftszeitprognosen (ETA) und diesbezüglichen Handlungsempfehlungen befähigt.

Durch die Erhöhung der Zuverlässigkeit, Effizienz und ökologischen Nachhaltigkeit leistet das SELECT-Projekt einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Binnenschifffahrt gegenüber alternativen Transportmöglichkeiten.

Der Kick-off zum Projekt fand am 31.3.2020 statt.

Abschluss des Forschungsprojekts - Demonstrator nud Abschlussbericht

Nach drei Jahren konnte das Projekt mithilfe aller Partner erfolgreich abgeschlossen werden. Durch das frühzeitige Beschaffen von Daten am Anfang des Projekts, der starken Kooperation der Partner entlang der gesamten Transportkette und der guten technischen Kompetenz im Projektteam, konnte das Projektziel eines anwendungsbasierten Demonstrators erfolgreich umgesetzt werden. Der Demonstrator ermöglicht es den Anwendern, binnenschiffbasierte Gütertransportprozesse zu visualisieren, detailierte ETA-Prognosen zu erhalten und anhand von preskreptiven Algorithmen Entscheidungsprozesse bei möglichen Störungen bzw. Verspätungen zu durchlaufen.

Die Funktionsweise des Demonstrators wird im Video erklärt und die Einzelheiten der Lösung werden anhand verschiedener Anwendungsbeispiele erläutert.

Der Projektbericht von SELECT wird zeitnah, nach der Veröffentlichung durch den Projektträger, ebenfalls hier verfügbar sein.

Projektorganisation

Projektförderer: 

Projektträger: 

  • TÜV Rheinland Consulting GmbH

Verbundpartner: 

  • Technische Universität Berlin, Fachgebiet Logistik (Konsortialführer)
  • BEHALA Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH
  • Deutsche Binnenreederei AG
  • Duisburger Hafen AG
  • HGK Shipping GmbH

Assoziierte Partner: 

  • Contargo GmbH & Co. KG
  • HVCC Hamburg Vessel Coordination Center GmbH
  • Rhenus PartnerShip GmbH & Co. KG

Projektlaufzeit: 

01.03.2020 - 28.02.2023

Ansprechpartner

M.Sc.

Jonas Brands

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

brands@logistik.tu-berlin.de

+49 30 314-28438

Sekretariat H 90
Gebäude Hauptgebäude (H)
Raum H 9103
Sprechzeitennach Vereinbarung