Datenbeschaffung abgeschlossen und erste Prognosemodelle entwickelt (03/2022)
Nach der zum Projektbeginn durchgeführten Anforderungs- und Prozessanalyse, in der unter Einbindung verschiedener Vertreter der Binnenschifffahrt u. a. relevante Einsatzbereiche und Gestaltungsanforderungen einer KI-basierten ETA-Prognose erhoben wurden, war die erste Hälfte der Projektlaufzeit von der Beschaffung, Aufbereitung und Analyse umfassender Datenbestände geprägt. Für den Zeitraum von 2017 bis 2019 wurden u. a. Bewegungsdaten zu historischen Schiffsverläufen in Form von Inland-AIS-Daten für zwei Korridore der Binnenschifffahrt bezogen. Hierbei handelt es sich um die Korridore Rhein-Main-Gebiet – ARA-Häfen (via Main, Rhein) und Berlin – Hamburg (via Mittellandkanal, Elbeseitenkanal, Elbe) mit den entsprechenden Zwischenhäfen, welche die Pilotrelationen des Projektes umfassen und eine Untersuchung von natürlichen und künstlichen Wasserstraßen ermöglichen (siehe Abbildung). Neben den AIS-Daten wurden mehrere öffentliche Datenquellen wie Wetterdaten, Flusspegelstände sowie Meldungen für die Binnenschifffahrt (Notices-to-Skippers, NtS) zu Infrastrukturstörungen und Eislagen für Deutschland und die Niederlande beschafft. Auch konnten Daten zu Schleusenöffnungszeiten, Geo-Daten zu Wasserstraßen und Hafenterminals sowie unternehmensspezifische Daten, insbesondere seitens der im Projekt involvierten Hafen- bzw. Terminalbetreiber, bezogen werden.
Parallel zur Datenbeschaffung wurden Aktivitäten zur Entwicklung der ML-Modelle für die ETA-Prognose aufgenommen. Dazu erfolgte zu Beginn eine Segmentierung des Gesamtprognoseproblems in Teilprobleme analog zu den Teilprozessen der mehrgliedrigen Prozesskette. Eine weitere zentrale Aktivität stellte die Identifizierung geeigneter Eingangsvariablen (Features) für die einzelnen Teilprobleme dar. Im Rahmen eines agilen Entwicklungsansatzes wurden bisher Prognosemodelle für die Teilprobleme der Prognose von Durchlaufzeiten und der darauf basierenden Estimated Time of Departure (ETD) in Seehäfen sowie der Prognose der Fahrzeit zwischen Häfen, inkl. Schleusenprozesse, Zwischenhalten zum Laden / Löschen und Fahrunterbrechungen, umgesetzt. Für letzteres wurden mehrere Ansätze zur Segmentierung der Prozesskette erprobt. Auch wurden bei der Entwicklung mehrere ML-Verfahren hinsichtlich der höchsten Ergebnisgüte getestet u. a. Künstlich Neuronale Netze, Gradient Boosting, Random Forest und Support Vector Machines. Neben der Entwicklung eines Modells für die Durchlaufzeit in Binnenhäfen werden die bestehenden Modelle derzeit inkrementell verbessert, u. a. durch die Berücksichtigung weiterer Daten bzw. Features.
Neben der Prognoseentwicklung wurde parallel an dem darauf basierenden Entscheidungsassistenten gearbeitet. In ersten Schritt wurden dazu gemeinsam mit den Praxispartnern ETA-relevante Störungsszenarien in der Binnenschifffahrt, z. B. die Verspätung eines Schiffes am Seehafen, sowie dafür geeignete Handlungsalternativen für die beteiligten Akteure identifiziert. Diese Informationen werden aktuell in Form eines wissensbasierten Systems IT-seitig implementiert. Zur Integration der einzelnen ETA-Funktionalitäten in ein Gesamtsystem wird zudem derzeit ein Demonstrator mit einer praxistauglichen Benutzeroberfläche entwickelt.
Weitere Informationen zum SELECT-Projekt (Vorgehen, Teilergebnisse etc.) finden sich in diesem Zwischenbericht zur Prognoseentwicklung sowie in folgenden Veröffentlichungen:
- Poschmann, P.; Weinke, M.; Straube, F. (2022): „Predicting Estimated Arrival Times in Logistics using Machine Learning“. In: Wang, J. (Hrsg.): Encyclopedia of Data Science and Machine Learning. Hershey, USA: IGI Global, S. 2683-2701
- Poschmann, P.; Weinke., M.; Straube, F.; Kliewer, J.; Gerhardt, F. (2022): „Künstliche Intelligenz in der Binnenschifffahrt: Steigerung der Zuverlässigkeit von Binnenschifftransporten durch datenbasierte Ankunftszeitprognosen". In: Internationales Verkehrswesen (74) 2/2022. [Veröffentlichung im Mai 2022]
- Poschmann, P.; Weinke, M.; Straube, F. (2021): „Predictions of Disruptions in Multi-Modal Transport Chains Using Artificial Intelligence". In: Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V. (Hrsg.): International Scientific Symposium on Logistics - Conference Volume. Bremen, S. 85-90.
- Teßmann, G. (2021): „Machine Learning: KI-basierte Entscheidungsassistenz für Logistikketten der Binnenschifffahrt". In: Schiffahrt, Hafen, Bahn und Technik (06 / 2021), S. 100-101
- Pressemitteilungen zum Projekt u. a. hier:
Vorträge zum SELECT-Projekt werden bzw. wurden auf folgenden Veranstaltungen gehalten:
- Netzwerkveranstaltung Digitale Testfelder Wasserstraße (DTW) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV), Berlin, 28.06.2022 [ausstehend]
- Hamburg International Conference of Logistics (HICL) der Technischen Universität Hamburg (TUHH), 23.09.2021
- International Scientific Symposium on Logistics (ISSL) der Bundesvereinigung Logistik (BVL), 15.06.2021
__________________________________________________________
Projekt im März 2020 gestartet (03/2020)
Unter Leitung des Fachgebietes Logistik der TU Berlin ist am 1.3.2020 das Projekt SELECT („Smarte Entscheidungsassistenz für Logistikketten der Binnenschifffahrt durch ETA-Prognosen“) gestartet, welches im Rahmen der Initiative „Innovative Hafentechnologien“ (IHATEC) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) für 3 Jahre gefördert wird: https://www.innovativehafentechnologien.de/projekt-select-gestartet/.
Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren der deutschen Hafenwirtschaft (u. a. Binnenreedereien und Betreiber von Binnen- und Seehafenterminals) wird das SELECT-Projekt für die Logistikketten der Binnenschifffahrt bedeutende Potenziale aus dem zunehmenden Datenbestand, u. a. Inland-AIS, heben. Mithilfe von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (Machine Learning) wird in SELECT ein digitaler Entscheidungsassistent entwickelt, der die Akteure der Binnenschifffahrt zur Optimierung von Transportverläufen durch die Bereitstellung von Ankunftszeitprognosen (ETA) und diesbezüglichen Handlungsempfehlungen befähigt.
Durch die Erhöhung der Zuverlässigkeit, Effizienz und ökologischen Nachhaltigkeit leistet das SELECT-Projekt einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Binnenschifffahrt gegenüber alternativen Transportmöglichkeiten.
Der Kick-off zum Projekt fand am 31.3.2020 statt.